Wir starten sehr früh am morgen mit dem ICE nach Freiburg, steigen dort um und verlassen den Bahnhof Altglashütten-Falkau. Von hier aus sind es 11 Kilometer bis zum Feldberg-Gipfel, acht Kilometer bis zum Schluchsee und nur eine Stunde Fußweg bis zum Titisee.
Was mich von Anbeginn betört: diese Stille. Das Unaufgeregte. Das Dorf Falkau, wo wir wohnen werden, liegt einfach friedlich hingestreckt in einem Tal. Ein Bach schlängelt sich am Wald entlang. Niemand hat es hier eilig, die Bahn-Kontrolleure sind vollkommen entspannt und überhaupt werden mir in den nächsten sechs Tagen nur freundliche Menschen begegnen.
Zweimal hält sogar ein Linienbus genau vor meiner Unterkunft (!), weil der Busfahrer sieht, dass ich schwere Einkaufstüten dabei habe. Und einmal bringt mich ein älteres Ehepaar, das ich auf einem Parkplatz kennenlerne, zurück in die Ferienwohnung und fragt mich vorher, ob ich vorher vielleicht noch etwas einkaufen muss. Bingo!
Da man in Falkau keine Lebensmittel einkaufen kann und 3 km ins nächste Dorf laufen muss, sage ich natürlich gerne ja.
Wir befinden uns auf knapp 1000 Meter Höhe. Es liegt Schnee, nicht sehr viel, aber es reicht aus, um ein ausgiebiges Winter-Gefühl zu entwickeln. Meine Freundin ist südlich von Freiburg in einem katholischen Dorf an der französischen Grenze geboren und kennt sich gut aus im Schwarzwald. Sie bleibt überwiegend in der Ferienwohnung, arbeitet, schreibt, liest, strickt, spielt Wordle, hört Musik während ich die Gegend erkunde.
Der erste Ausflug ist gleich eine Schneeschuhwanderung mit einem Wanderführer namens Klaus. Klaus Grimm (s. Foto oben). Er ist Profi und bietet im Hochschwarzwald insgesamt 15 Schneewanderungen an. Manche erstrecken sich über mehrere Tage. Heute sind wir zu fünft, Klaus, ich und drei andere. Es ist eine einfache 3-stündige Schneeschuhwanderung den Hirtenpfad entlang, einem berühmten Wanderweg. Der Name erinnert an die Tradition der Kinderarbeit in der Region. Jungs aus kinderreichen Familien haben hier bis zu 12 Stunden am Tag auf dem Land gearbeitet, barfuß. Die Familien waren froh, einen Esser weniger zu haben. 1965 wurde diese Kinderarbeit verboten.
Klaus erzählt von der Eiszeit, den unterschiedlichen Formen von Tälern, von den Tieren, die im Schwarzwald leben und wie man die Schneespuren lesen kann, die sie hinterlassen. Wir finden die Spuren von Hasen, Füchsen und Rehen.
Immer wieder halten wir an, verschnaufen und der Schneeschuhexperte berichtet - zum Beispiel von den fünf Lawinengebieten im Hochschwarzwald und dass sich drei davon am Feldberg befinden. Er erzählt auch von den ausgewiesenen Schneeschuhwandertrails im Schwarzwald und dass einer wieder abgeschafft wurde, weil einige Wanderer*innen rücksichtslos durch die Gärten und Grundstücke der Bauern getrampelt sind. Man spürt wie sehr ihm die Natur am Herzen liegt. Dass er unter der Respektlosigkeit der Natur gegenüber bei einigen Besucherinnen und Besuchern leidet.
Der Himmel ist himmelblau an diesem Tag wie an fast allen Tagen.
Im zweiten Corona-Winter kann mir nichts Besseres passieren als hier zu sein, in die Weite zu blicken und das Licht durch mich hindurchströmen zu lassen.
An diesem Tag gebe ich mir die Kante und laufe anschließend noch 7 km durch den Schnee nach Schluchsee. Anfangs laufe ich ein Stück mit einem Pascale aus Freiburg. Wir sind die einzigen, die sich die Mühe machen, durch den Schnee zu stapfen. Dann trennen sich die Wege. Er holt seine gerade neu erworbenen Schneeschuhe raus und biegt ab.
Als ich am Schluchsee ankomme, ist mir kalt und ich möchte die Beine hochlegen. Das dauert aber noch!
Das mache ich dann am Sonntag. Dafür sind ja die Sonntage da: Beine hochlegen.
An einem anderen Tag leihe ich mir Langlaufskier aus und versuche mich in der 10 Kilometer-Loipe im Dorf Altglashütten. Nach einer Stunde Langlaufen auf höchstem Anfängerin-Niveau sehe mich gezwungen, die Skier abzunehmen. Es geht mir einfach etwas zu steil bergab. Darin bin ich nicht geübt. Danach gelingt es mir leider nicht, den linken Skier wieder anzuziehen. Tant pis! wie es auf Französisch heißt. Macht nichts. Ich laufe durch den vom Schnee verzauberten Wald und lausche der Stille. Meine Skier trage ich voller Würde zum Ausgangspunkt zurück während mir die Profis mit großem Schwung auf der gegenüberliegenden Loipe entgegenkommen.
In Bärenthal entdecke ich ein Schnapsmuseum mit einem fabelhaften Café.Dort gibt es die beste Schwarzwaldkirschtorte, die ich jemals gegessen habe. Im Schnapsmuseum selbst gibt es übrigens nicht nur Hochprozentiges, sondern auch eine alte Jukebox.
„Kann man da Münzen reinwerfen und dann spielt Musik?“ frage ich begeistert eine Verkäuferin.
„Sie müssen da nichts reinwerfen. Ich stelle die Jukebox gerne für Sie an. Suchen Sie sich etwas aus.
Bedingung ist allerdings, dass Sie dann auch dazu tanzen.“
Gesagt, getan. Ich wähle "Heißer Sand" aus den 60er Jahren. Der Schlager erinnert mich an meine Kindheit.
So verbringe ich spielend und tanzend meine Wartezeit bis mein Bus zum Feldberg hochfährt. Dort bewundere ich die Abfahrtszeit-Skiläuf*erinnen, dieses Gewusel auf dem Berg und besuche das sehenswerte Haus der Natur. Dort wird die Geschichte dieser Region erzählt - sehr anschaulich und spannend.
Am letzten Tag lerne ich noch einen zweiten Klaus kennen. Meine Freundin hatte mir bereits vor der Abfahrt einen Link zum Programm „Raus mit Klaus“ geschickt.
Also nix wie raus. Die Tour beginnt in Hinterzarten. Dieses Mal bin ich unter Seniorinnen und Senioren, wir machen einen ausführlichen Spaziergang mit diesem zweiten Klaus, der ebenfalls erfahren und sympathisch ist. Sein Markenzeichen sind die Gedichte: Er kann zu vielen Themen Lyrisches präsentieren. Den anderen gefällt es, ich schweige. Natürlich erzählt auch er Geschichten zur Landesgeschichte - zum Beispiel von Marie Antoniette, die hier mal mit 57 Kutschen vorbeikam, um dann in Kehl zu heiraten. Kleines Handgepäck sozusagen für die Hochzeit mit Louis Quatorze.
Er berichtet von dem Heimatmaler Hermann Dischler, der für seine verschneiten Winterbilder bekannt ist.
Und endlich erklärt mir mal jemand die wilde Beschilderung hier. 23.000 Km Wanderwege wurden gekennzeichnet und da es häufig nur ein Rautezeichen gibt, bin ich zuweilen auch verwirrt. Einmal verlaufe ich mich auch richtig, in der Nähe vom Titisee. Da stapfe ich dann irgendwann nur noch einen Berg hoch in der Hoffnung, dass ganz oben wieder ein Wanderweg ist.
Nach den drei gemütlichen Senioren-Wanderstunden sind wir jedenfalls wieder zurück im Zentrum von Hinterzarten. Auch hier gibt es ein fabelhaftes Café mit hervorragendem Kuchen, das Café Unmüssig.
Am Abfahrtstag weiß ich: Ich komme wieder. Ich muss doch noch Langlauf üben und lernen wie man die Skier wieder anbekommt, wenn ich sie einmal abgeschnallt habe. Außerdem möchte ich auch nochmal zum Schluchsee laufen, Halt machen in der Gaststätte Köhlerei, wo es den besten Zwetschgenkuchen gibt.
Vielleicht lädt mich meine Freundin ja mal wieder ein, mitzukommen in den Schwarzwald. Das im Winter so angegraute Berlin verschwindet dort ganz schnell aus dem Gedächnis.
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Waltraud (Freitag, 11 Februar 2022 14:08)
Es ist ein Vergnügen, das zu lesen.
Rolf (Freitag, 11 Februar 2022 19:53)
Herrlich zu lesen. Da ich am Bodensee auf gewachsen bin und sehr,sehr oft im Schwarzwald war,als Kind, freut es mich durch deine Erzählung, ein paar Erinnerungen revue passieren zu lassen. Herzlichen Dank Gabriele
Josefa (Freitag, 11 Februar 2022 20:06)
Jetzt gibt es keinen Grund mehr da nicht hinzufahren �
Simone (Samstag, 12 Februar 2022 11:05)
Ein wunderbarer Text, um ins Wochenende hineinzugleiten und von der nächsten Reise (nicht nur) zu träumen :) Vielen lieben Dank fürs Teilen.
Klaudia (Samstag, 12 Februar 2022 15:52)
Das macht Lust auf (mehr) Schnee! Ich freue mich schon auf meinen bevorstehenden Winterurlaub allerdings in Tirol.
Heidemarie (Samstag, 12 Februar 2022 18:11)
Ein Vergnügen diesen Text zu lesen und positive Neidgefühle dem grauen Corona Winter so ein paar Tage zu entkommen. Ich gönne es dir liebe Schwester �♀️
Inge (Sonntag, 13 Februar 2022 19:41)
da muss ich auch hin. danke