„Komm doch mal mit“, sagte mir eine Freundin vor rund drei Jahren. Und ich ging mit. Zu einer freien Singgruppe. Kann man ja mal mitmachen. Wenn es mir nicht gefällt, gehe ich halt nicht wieder hin.
Der Raum war ohne jeden Charme. Oder eben der Charme eines leeren Gewerberaums. Es gab nichts außer einem Stuhlkreis. Die Wände waren überwiegend kahl. Wir befanden uns in einer leerstehenden Erdgeschosswohnung, die von Künstler*innen und diversen Gruppen genutzt wird. In Fußnähe zur S-Bahn-Schöneberg. Das Wort Corona kannte damals noch niemand.
Wir beginnen pünktlich. Alle Stühle sind besetzt. Die Leitung hat eine junge Frau mit wunderbarer Ausstrahlung, sehr freundlich, fokussiert, ins sich ruhend, Gitarre in der Hand. Ihren Namen kann ich mir schon bald merken, Kordula Voß, Singleiterin, Musiktherapeutin und mehr.
Wir starten mit „I am what I am“. Das bleibt so. Auch mit der Umstellung auf Zoom-Singen seit Beginn der Pandemie beginnt die freie Singgruppe mit diesem Stück. Da ich im Singen so gut wie keine Übung oder Erfahrung habe, hoffe ich in diesem Singkreis immer, dass mich niemand hört. In meinem Beruf muss ich viel sprechen. Ich kenne meine Stimme sehr gut, sie ist für das Radio geeignet, für öffentliche Veranstaltungen, für die Alltagskommunikation. Ich kann laut sprechen und mich verständlich machen.
Aber beim Singen werde ich schüchtern. Es ist so als würde ich mich am liebsten verstecken. Stimme ist irgendwie intim.
Heute, drei Jahre später, ist das anders. Ich genieße es, meine Stimme zu hören, egal ob sie den Ton trifft oder nicht. Beim Zoom-Singen rechne ich nur immer damit, dass meine nette Nachbarin klingelt und mich fragt, ob alles in Ordnung ist.
Ich erinnere mich, dass ich mich früher als Kind auch frei fühlte vom Falsch-Singen. Mit 5 Jahren stand ich mal auf einer Bühne, als Käse verkleidet. Und habe von oben irgendein Lied laut geschmettert. Ich glaube das Lied hieß: Ich bin die kleine Limburgerin. Damals war ich noch unbefangen. Als Erwachsene hat man diesen Virus, diese Angst, falsch zu klingen.
Jedenfalls merke ich an diesem ersten Singaben, dass mir etwas gefällt an dieser Singrunde. Es bildet sich eine schöne Gemeinschaft, ein schöner Klang, eine Stille und Schönheit des Augenblicks. Nach leichten Körperübungen darf jede/r Wünsche äußern. Es wird immer etwas gewünscht. Vielleicht ist es das klassische „The river is flowing“ oder jemand wünscht sich was mit dem Mond, weil heute Vollmond ist. Da bietet sich doch das wunderschöne deutsche Volkslied „Der Mond ist aufgegangen“ an. Es sind Heillieder, indianische Lieder, Mantren aus Tibet, Melodien aus Hawai. Es darf auch mal Plattdütsch sein. Als Norddeutsche finde ich das Klasse.
Was auch immer, wir singen an diesem Abend und in den nächsten drei Jahren mit Zoom oder in einem SchönebergerGarten, am Ende kehrt immer eine große Stille ein. Es ist alles gesagt, alles ist friedlich.
Das Denken hatte Pause. Die Sorgen hatten Pause. Singen ist in der Gegenwart sein pur. Mit anderen sich verbunden fühlen ohne irgendetwas voneinander zu wissen.
Die Melodien und Texte sind einfach. Und schön. Zum Beispiel:
We rise we fall
In the end we are beyond it all
It’s raining this mercy
It’s raining with love
I am what I am
Singen ist eine große Einladung zu fühlen, sich zu verbinden und in der absoluten Gegenwart präsent zu sein. Singen bedeutet für mich: sich weiten in Zeit und Raum.
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Krüger (Donnerstag, 30 September 2021 20:51)
Hallo, dies ein schöner, feiner und kleiner Beitrag, der mir sehr gefällt.
Das Singen, egal ob die Töne getroffen werden oder nicht, verbindet die Seele mit dem Körper und ist sehr heilsam. Darum ist das Singen im Kindergarten oder Grundschulen ein wichtiger Bestandteil zur Bildung von Gemeinschaft und zum „erden“bei all der Digitalisierung.
Danke für den Beitrag.
Gruß, Heidemarie
Inge (Donnerstag, 30 September 2021 22:47)
Schade, dass so wenig gesungen wird. Es ist so schön und heilsam. Danke für den Beitrag.
ich warte auf mehr.
Gruß, Inge
Vera Kimmig, Vorstand Singende Krankenhäuser, (Freitag, 01 Oktober 2021 11:16)
Vielen Dank Gabriele, denn ich bin momentan total berührt von dem Text über Ihr eigenes Erleben des Singens! Sie haben für sich das Wesentliche, welches das Singen ausmacht, wunderbar erspürt. Diese Verbundenheit mit dem Moment, mit sich selbst und der Gruppe. Da weitet sich wirklich Zeit und Raum ! Menuhin hat viel wunderbares über die Musik geschrieben und mein Lebens- und Berufsmotto davon ist: "Wenn einer aus der Seele singt, heilt er seine innere Welt.....wenn alle aus der Seele singen und eins sind in der Musik, heilen sie zugleich auch die äußere Welt!"
Wer hiervon selbst mehr erleben möchte, kann sich gerne mal auf der Homepage der Singenden Krankenhäuser e.V. umschauen und findet bestimmt einen offenen Singkreis auch in seiner Nähe! klangvoll und herzlich Vera